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Die Unterhose - Hommage an ein verborgenes Kleidungsstück

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 03.06.2021, 17:17 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 14220x gelesen

Salzburg [ENA] Ob nun Boxershorts, Sportslips, Pants, Tangas, Long Johns (in deutschsprachigen Landen auch "Liebestöter" genannt), ob gestreift, in Karomustern, in Netz-, Spitzen- und Glanz-Optik oder in altbewährter Feinripp-Qualität: Fast jede Frau und fast jeder Mann trägt sie als Teil der Unterwäsche. Wie lange eigentlich schon? Und gab es früher eigentlich eine andere Mode? Sogar in lyrischer Form wurde sie schon "besungen":

„Heilig ist die Unterhose, wenn sie sich in Sonn und Wind, frei von ihrem Alltagslose, auf ihr wahres Selbst besinnt. Fröhlich ledig der Blamage. Steter Souterränität, wirkt am Seil sie als Staffage, wie ein Segel leicht gebläht.(…)“ (Christian Morgenstern) Es mag erstaunen, dass Christian Morgenstern die Unterhose, dieses meist diskret und nicht sichtbar getragene Kleidungsstück, in einen sakralen Kontext stellt. Aber auch schon das Alte Testament berichtet an prominenter Stelle von einem ähnlichen Kleidungsstück:

Nachdem Moses am Sinai von Gott die zehn Gebote entgegengenommen hat, werden die Priestergewänder gründlich und detailreich beschrieben. Unter anderem heißt es: „Mach ihnen Beinkleider aus Leinen, damit sie ihre Scham bedecken; von den Hüften bis zu den Schenkeln sollen sie reichen.“ (AT, Exodus, 28,42) Als „heilig“ gelten diese Gewänder trotz ihrer Erwähnung in der Bibel dennoch nicht – und als Unterhosen in unserem Sinne kann man sie auch kaum bezeichnen.

Dieses Kleidungsstück hat nämlich eine relativ kurze Geschichte – zumindest in der Form, wie sie uns heute selbstverständlich ist. Im Mittelalter existierte die so genannte Brouche (eigentlich „bruoch“), die möglicherweise als Vorläufer der heutigen Unterhose bezeichnet werden kann: Eine eher weite, aus Leinen gefertigte Bundhose wurde mit Beinlingen versehen und direkt am Körper getragen. Ob unter den später gebräuchlichen engen Kniehosen noch etwas getragen wurde, entzieht sich aufgrund fehlender Quellen der Forschung.

Vermutlich trugen Frauen bis in das 18. Jahrhundert unter ihrem Kleid nichts außer Hemden, Strümpfe und Unterröcke – adelige Damen auch noch den unvermeidlichen Reifrock, der zwar die ständigen Schwangerschaften gut zu verbergen vermochte, aber für die Trägerinnen kaum besonders bequem war. Korsetts wurden unterhalb der Kleidung getragen, zählten aber aufgrund der Tatsache, dass sie nicht gewaschen wurden, nicht zur Wäsche.

Die aufgeklärte Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, aber mehr noch die Massen von Soldaten bewirkten ein langsames Umdenken. Um beim langen Marschieren nicht wund zu werden und die Kälte leichter ertragen zu können, trug das Militär zusehends lange Unterhosen. Vor allem in den Städten und der bürgerlichen Gesellschaft trat die neue Unterbekleidung nun ihren Siegeszug an. Wer sich das häufige Waschen leisten konnte und wollte, gönnte sich den ungewohnten Luxus.

Der weiße Stoff war einerseits Statussymbol, andererseits konnte er sowohl mechanisch durch Rubbeln am Waschbrett als auch chemisch mit Chlorlauge und Seife gut gereinigt werden. So wurden Unterhosen auch als „Weißware“ bezeichnet, der Begriff „Weißwarengeschäfte“ für entsprechende Kaufhäuser hielt sich bis ins 20. Jahrhundert. Mediziner zeigten sich zufrieden ob der neuen Mode – auch in moralischer Hinsicht: „Wollüstige Regungen“ (voyeuristischer Männer) und „beschämende Auftritte“ (betroffener Frauen) konnten nun vermieden werden.

In einem Lehrbuch der „Militärhygiene“ von 1869 hieß es dazu: „Unterbeinkleider sind schon aus Reinlichkeitsgründen kaum zu entbehren.“ So war es wohl der allgemeine Wehrpflicht zu verdanken, dass sich diese Bekleidungsart bei der männlichen Bevölkerung rasch ausbreitete. In ländlichen Gebieten dauerte dieser Prozess allerdings etwas länger. Hier trug man traditioneller Weise noch das lange Hemd, das bis zu den Oberschenkel reichte und einfach unter die lange Hose gesteckt wurde. Die Redewendung „Mach dir mal bloß nicht ins Hemd“ deutet auf diese Zeit.

Kleine Mädchen aus bürgerlichem Haus trugen aus Gründen der Schicklichkeit in zunehmendem Maße Spitzenhöschen, die beim Spielen immer wieder unter den Röcken hervorblitzten. Größeren Mädchen sowie „anständigen“ Frauen durfte dieses Missgeschick ohnehin nicht passieren, sie mussten sich „salonfähig“ und tugendhaft benehmen. Wenn sie überhaupt Beinkleider trugen, waren diese weit geschnitten und teils im Schritt offen – wenig schmeichelhaft wurden diese Kleidungsstücke in Bayern daher auch „Stehbrunzhosen“ genannt. Für eine Dame des 19. Jahrhunderts dagegen gehörte es sich allmählich, eine „ordentliche“ Unterwäsche zu tragen.

Auf diesen Anspruch reagierte die aufkommende Kleidungsindustrie schnell und stellte zunächst relativ weit geschnittene Pluderhosen her – aus leicht waschbarem Leinen oder Baumwolle. Ab 1877 kam eine einteilige Hemdhose auf den Markt und um 1914 eroberte der Schlüpfer die Damenwelt. Hielten ursprünglich Bänder, Schleifen oder Knöpfe die Unterhose zusammen, revolutionierte die Erfindung des Hosengummis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur den Halt des Kleidungsstückes, sondern auch das Tempo des An- und Ausziehens!

Die Jugendbewegung, die Lust auf sportliche Betätigung wie z.B. Tanzen und Radfahren, erhöhte zudem den Bekanntheitsgrad der neuen Unterbekleidung enorm: Gewiss erlaubten viele Mütter ihren Töchtern nur bei angemessener Bekleidung die nächste Verabredung oder Ausfahrt… Grundsätzlich wechselten früher die Menschen ihre Gewänder wesentlich weniger oft als heute – vor der Erfindung der Waschmaschinen war das Waschen von Kleidungsstücken ja eine aufwändige und anstrengende Arbeit.

Heute brauchen weder Lehrer noch Ärzte ihre jeweils anvertrauten Zöglinge oder Patienten zu ermahnen, ihre Unterwäsche regelmäßig, wenigstens jedoch einmal in der Woche (so in früheren Anleitungen zu lesen) bzw. täglich zu wechseln. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war dieses Problem immerhin noch ein wichtiges Thema in der Gesundheitserziehung. Bis in die 1970er Jahre galten weiße Doppelripp-Unterhosen mit Eingriff als (männliches) Maß der Dinge, danach verdrängten farbige „Boxershorts“ und „Sportslips“ allmählich die etwas altmodisch wirkenden Ladenhüter.

Die Bezeichnung „Slip“ für Unterhose ist genau genommen ein Scheinanglizismus: Der englische Ausdruck meint nämlich etwas anderes, ein „Unterkleid“. Frauen können mittlerweile zwischen Tangas, Jazzpants, Pants, Rio-, Hüft-, Taillen-, Form- und anderen Slips wählen – um gutes Geld kann sogar ein seidener „Hauch von Nichts“ erworben werden, der gleichsam den weiblichen Körper wie das männliche Auge umschmeichelt.

„Sagging“, ein eher unerotischer, aus amerikanischen Gefängnissen stammender Look, hat es vor allem männlichen Jugendlichen angetan: Wie bei Strafgefangenen, die zur Vermeidung von Suiziden keine Gürtel, Bänder oder Schnüre besitzen dürfen, ist auch deren Unterhose sichtbar, da die darüber getragene Jean ständig der Schwerkraft gehorcht und nach unten rutscht. Warum Christian Morgenstern die Unterhose „geheiligt“ hat, lässt sich nur schwer erahnen. Vielleicht ist es „die Besinnung auf das wahre Selbst“, die einen selig machenden Zustand hervorruft?

Der Kalauer, wonach das Leben viel zu kurz für lange Unterhosen ist, hilft uns in dieser Frage auch nicht weiter. Als Ausweg bietet sich Woody Allen an, der eine ausgesprochen pragmatische Haltung einnimmt, wenn er meint: „Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, obwohl ich ein Paar Unterhosen zum Wechseln mitnehmen werde.“

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